Staatsoper Stuttgart – Il Trovatore

Il trovatore

Foto ©Matthias Baus

Der Vorhang öffnet sich mit einer Pantomime von düsterer Bedeutung, vor dem Paukenwirbel, der die einleitende Fanfare in E-Dur vorwegnimmt (Spiegelbild der Es-Moll-Akkorde, die die Partitur abschließen: Bei Verdi bedeutet das Absinken eines Halbtons immer, dass Unglück passiert ist ), dann von den Solostreichern wiederholt. Die Szene zeigt uns einen zerstörten Spielplatz, auf dem ein Kinderchor die Worte singt, die den Soldaten anvertraut werden sollten, und der Grund dafür bleibt unbekannt. Im weiteren Verlauf erscheinen Lonora und Manrico im ersten Akt als Cowboys verkleidet und später als Barbie und Ken in der Pira-Szene; auf der Bühne, Akrobaten und Breakdancer, die hektisch agitieren in den dramatischsten Momenten einer Bühnenhandlung, die der Regisseur nach Belieben unterbricht mit Lesungen deutscher Verse, vorgetragen im Horrorfilm-Stil. Dies ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich in der Inszenierung von Il Trovatore an der Staatsoper Stuttgart gesehen habe, der letzten Neuproduktion der bald zu Ende gehenden Saison.

Il trovatore

Foto ©Matthias Baus

Der Schöpfer dieser Art von Hellzapoppin’ war Paul-Georg Dittrich, einem 41-jährigen Brandeburger Theaterregisseur, der vor etwa fünf Jahre in Darmstadt einen großen Skandal mit der Inszenierung eines Fidelio, in dem die Musik des Finales neu komponiert worden war, ausgelöst hat. Wie im Fall des hier in Stuttgart 2020 inszenierten umstrittenen Boris Godunow zeigte auch diese Inszenierung, dass es die Spezialität des Brandenburger Regisseurs ist, Texte zu verzerren und zu manipulieren, um sie an die Ideen anzupassen, die er zum Ausdruck bringen möchte. Im Gegensatz zu ihm bin ich, auch auf die Gefahr hin, konservativ zu wirken, weiterhin der Meinung, dass die Aufgabe einer musikalischen oder szenischen Interpretation darin besteht, hervorzuheben, was der Autor uns sagen wollte, und nicht darin, sein Werk als Vorwand zu nutzen, um die Ideen des Regisseurs zu verbreiten.

Il trovatore

Foto ©Matthias Baus

Letztendlich war diese Produktion die perfekte Beweisung des zugrunde liegenden Missverständnisses, das fast das gesamte sogenannte Regietheater entkräftet. Meiner Meinung nach ist das größte Problem der heutigen Regisseure die Unfähigkeit, sich mit den Mythen und Geschichten der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Für sie ist Theater nur ein bürgerliches Drama und/oder psychologisches Konfliktgewirr oder eine rein ästhetische Zurschaustellung künstlerischer Installationen. Eine ähnliche Mentalität führt uns dazu, über die aktuelle „Mode“ des bürgerlichen Dramas um jeden Preis nachzudenken, über den Verzicht auf die Fabula als Metapher (ersetzt durch die metaphorischen Werte der Realität) und über das – oft wirklich übertriebene – Beharren auf Visualisierung alles nach den Elementen eines billigen Jungianismus. Diesbezüglich hat Emil Cioran es treffend ausgedrückt, als er feststellte, dass tausend Jahre Kriege den Westen geprägt hätten, aber ein Jahrhundert Psychologie ausgereicht habe, um ihn in Stücke zu zerschlagen.

Il trovatore

Foto ©Matthias Baus

In solchen Fällen sucht der Zuschauer, benommen von dem, was er sieht, Trost im Auftritt der Sänger und im musikalischen Teil der Aufführung. Leider bot diese Leistung auch in dieser Hinsicht wenig Wertvolles. Antonello Manacorda dirigierte sauber, präzise und geordnet, aber es mangelte ihm auch sehr an Sinn für Theater und Spannung. Es reicht nicht aus, das Orchester gut spielen zu lassen, um eine Oper wie Il Trovatore zu interpretieren, die auf extremen dramatischen Kontrasten basiert, und deshalb klang die gesamte Aufführung furchtbar blass und langweilig. Praktisch war dies ein Verdi, der wie Mozart klang. Was die Besetzung anbelangt, reichte als einziger Auftritt der brasilianische Tenor Atalla Ayan aus, der über die für die Rolle des Manrico erforderlichen stimmlichen Voraussetzungen verfügt und mit souveränem Gesang und guten hohen Tönen glänzte. Die Sopranistin aus Vicenza, Selene Zanetti, die in Leonora ihr Bühnendebüt gab, nachdem sie in Budapest konzertant gesungen hatte, verfügt über keine ausreichende Stimme, um den stimmlichen Schwierigkeiten dieser Rolle standzuhalten. In den tiefen Tönen der ersten Szene des vierten Akts verfärbt sich der Klang und die Stimme in der hohen Oktave klingt unter Belastung, wobei alle Vokale zu „I“ werden. Ebenfalls völlig unzureichend war die Azucena der rheinischen Mezzosopranistin Kristina Steifeld, die in der unteren Oktave zappelte und enorme Anstrengungen unternehmen musste, um Töne hervorzuheben, die sie schlicht und einfach nicht von Natur aus besitzt. Der salernitanische Bariton Ernesto Petti verfügt über eine wunderschön gefärbte Stimme, die technisch recht korrekt umgesetzt wird, doch für eine Rolle wie die des Grafen von Luna sollte er viel mehr auf die dynamischen Nuancen und die Eleganz der Phrasierung achten, die hier etwas vernachlässigt wirkte. Michael Nagls Ferrando verfügt als Mozart-Bariton nicht über die Klangkonsistenz und die Cavata in den Mittelnoten, die für Verdis Basspartien erforderlich sind. Am Ende applaudierte das Staatsopernpublikum den Protagonisten des musikalischen Teils sehr herzlich und spendete anschließend den Verantwortlichen des szenischen Teils heftige Buhrufe. Tadelloses Urteil. Sei vendicato, o Verdi!

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